Die Kyjiwer Gespräche organisierten eine Reise der stellvertretenden ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Olga Altunina nach Berlin. Zwischen dem 26. und 30. September 2022 absolvierte die Delegation 14 Arbeitstreffen mit Vertreter*innen der Berliner Regierungskoalition, Bundestagsabgeordneten, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und internationalen Hilfsorganisationen.
Ziel der Reise war, das politische Berlin über die humanitäre Dimension des russischen Angriffskriegs zu informieren, Netzwerke auszubauen und die humanitäre Unterstützung der Ukraine zu stärken.
Olga Altunina ist seit August 2022 verantwortlich für die Rechte von Binnenvertriebenen, Geflüchteten sowie vom Krieg betroffenen Ukrainer*innen im Büro des Menschenrechtsbeauftragten der Ukraine, Dmytro Lubinets. Bis 2020 war sie Regionalkoordinatorin der Kyjiwer Gespräche in der Donezk Region und Stadträtin von Slowjansk. Wir freuen uns sehr, dass wir Sie in ihrer neuen Position unterstützen können.
Mit ihr reisten Vladyslav Zakabluk, stv. Abteilungsleiter für das Monitoring der Rechte von Opfern bewaffneter Aggressionen, Büro des Menschenrechtsbeauftragten, sowie Halyna Balabanowa, Mitgründerin des Mariupoler Bildungszentrums „Halabuda“ und Leiterin des Zentrums für Bürgerinitiativen „Schidna Brama“ („Osttor“), das sich aufgrund des Krieges derzeit in Lwiw befindet.
Foto: Arbeitstreffen mit der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Luise Amtsberg. V.l.n.r.: Vladyslav Zakabluk, Olga Altunina, Luise Amtsberg, Tetiana Lopashchuk (Projektleiterin der Kyjiwer Gespräche), Halyna Balabanowa
Situation der Binnengeflüchteten in der Ukraine
Im August waren über 6,9 Mio. Menschen als Internally Displaced Persons (IDPs) registriert, die vor allem in die westlichen und zentralukrainischen Regionen geflohen sind. Der nahende Winter stellt Gemeinden, Behörden und Ehrenamtliche vor große Herausforderungen. Bei Unterbringung und Grundversorgung ist die Hilfe internationaler Partner notwendig. Olga Altunina sprach mit ihren deutschen Kolleg*innen und Vertreter*innen von Hilfsorganisationen über unmittelbaren Bedarf wie Wasseraufbereitungsanlagen und heizbare Zelte sowie über logistische Herausforderungen bei den Hilfslieferungen.
Humanitäre Unterstützung brauchten auch die Menschen, die wegen fehlender finanzieller Mittel in den östlichen und südlichen Regionen geblieben seien. Durch die gezielten russischen Angriffe auf kritische Infrastruktur kann die Wärme- und Wasserversorgung nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden.
Foto: Austausch zu humanitärer Hilfe mit Brot für die Welt
Zwangsdeportation von Kindern nach Russland in größerem Ausmaß als bislang bekannt
Die Dunkelziffer der nach Russland zwangsdeportierten Kinder liegt weit höher als die bestätigten offiziellen Zahlen derzeit abbilden können. In Russland werden die verschleppten Kinder über vereinfachte Verfahren zur Adoption freigegeben. Dies erschwere den Such- und Rückholprozess erheblich, warnte Olga Altunina.
Die internationale Gemeinschaft sei aufgerufen, den Druck zu erhöhen, um diese besonders abscheulichen Kriegsverbrechen zu stoppen und die Rettung der verschleppten Kinder zu unterstützen.
Foto: Treffen mit Jean P. Froehly, Sonderbeauftragter für die Ukraine im Auswärtigen Amt
Desolate Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten
Als Vertreterin der Rechte der Menschen unter Okkupation war es für Olga Altunina besonders wichtig, über die Situation der Menschen in den von Russland besetzten Gebieten zu berichten, in denen täglich Fälle von Folter, Verschleppung, willkürlicher Bestrafung bis hin zu Hinrichtungen und Vergewaltigung festgestellt würden. Auch auf die Situation in russischen Filtrationslagern zum Zwecke der Zwangsumsiedlung nach Russland wurden die deutschen Gesprächspartner*innen hingewiesen.
Die ukrainische Delegation hob hervor, dass die russischen Menschenrechtsverletzungen, Verstöße gegen das Völkerrecht und die gezielt gegen die ukrainische Bevölkerung gerichteten Kriegsverbrechen als Genozid zu werten seien. Dies betreffe insbesondere auch die Praxis der Kindesentführung und -adoption durch Russland, die in der UN-Völkermordkonvention als Element von Genozid klassifiziert ist.
Foto: Im Bundestag mit der Abgeordneten Renata Alt, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ukrainische Geflüchtete in Deutschland
Olga Altunina war es auch wichtig, ihre Dankbarkeit für Deutschland für die Aufnahme von 1,2 Millionen geflüchteten Ukrainer*innen zum Ausdruck zu bringen. Die starke Solidarität und schnelle Entscheidung der Europäischen Union haben noch einmal unterstrichen, wie stark die Unterstützung der europäischen Partner für die Ukraine sei.
Unterstützt von der Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland werden im nächsten Schuljahr vier ukrainischsprachige Schulen eröffnet. Zudem sei ein ukrainisches Kulturzentrum geplant.
Mit Vertreter*innen von Flüchtlingsorganisationen sprach die Delegation über Verstöße gegen die Rechte ukrainischer Geflüchteter in Deutschland und Perspektiven einer engeren Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund warnte Altunina vor der Aufnahme russischer Deserteure. Deserteure seien nicht automatisch auch Dissidenten. Es sei ein Sicherheitsrisiko für Europa und den ukrainischen geflüchteten Frauen und Kindern nicht zuzumuten, Sammelunterkünfte mit russischen Männern zu teilen.
Foto: Sprachrohr der Ukrainer*innen in Berlin: Allianz Ukrainischer Organisationen;
Olga Altunina und Halyna Balabanowa trafen zudem die Journalistin Sabine Adler für ein Interview zu der Menschenrechtslage in den besetzten Gebieten. Den im Deutschlandfunk erschienen Beitrag können Sie hier nachhören.
Die durch die Reise neu geknüpften Kontakte sollen intensiviert und verstetigt werden, um die Zusammenarbeit weiter zu stärken.
Gemeinsam mit der Projektleiterin der Kyjiwer Gespräche Tetiana Lopashchuk absolvierte die Delegation über 14 Arbeitstreffen zwischen dem 26. und 30. September 2022.
Sie trafen:
Politiker und Ministerien
Britta Behrendt, Ministerialrätin, Bundesministerium des Inneren und für die Heimat / Stab Ukraine
Jean P. Froehly, Sonderbeauftragter Ukraine, Auswärtiges Amt
Dr. Anton Hofreiter, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Luise Amtsberg, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt
Renata Alt, MdB, Freie Demokratische Partei
Ukrainische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland
NGOs
Diana Hennings, Moabit Hilft
Holger Michel
Allianz Ukrainischer Organisationen
Tetiana Honcharuk, FrauenTreff Hellma
Christian Lüder, Berlin Hilft
Diakonie / Brot für die Welt
Treffen mit dem Beirat der Kyjiwer Gespräche