Kraft schöpfen in Cholodnyj Jar: Wie die Resilienz durch Retreats erhalten bleibt

Unsere Partnerorganisation in Tscherkassy, NGO "Horyzont Smin", möchte einen "Ort der Lebensenergie" aufbauen. Zwei Retreats hat sie bereits realisiert. Sie wurden im Juni bzw. August im Rahmen des Projektes “Stiftung sozialen Kapitals für Bürgerinitiativen in den ukrainischen Regionen” mit Unterstützung durch die Kyjiwer Gesprächen durchgeführt.

Die Nachfrage ist hoch

Diesen Sommer hat die Chata Skraju zwei Gruppen von Freiwilligen und Aktivist*innen empfangen. Das Networking-Event richtete sich an Bürgerinitiativen und NGOs in der Region Tscherkassy, die im Bereich der Flüchtlingshilfe aktiv sind und Binnenvertriebene bei der sozialen Integration in den lokalen Gemeinschaften unterstützen.

Das Projekt konnte dank der Zusammenarbeit mit den Kyjiwer Gesprächen realisiert werden, die solche Initiativen mittels finanziell und durch Weiterbildungsmöglichkeiten unterstützen. Die Regionalkoordinatorin der Kyjiwer Gespräche, Tetjana Kawaltschuk, berichtet, wie die Zusammenarbeit mit “Horysont Smin” bereits im Jahr 2014 begann.

“Wir haben mit Aufklärungsarbeit angefangen, Treffen und Diskussionen über die Reformen nach der Revolution der Würde organisiert, und Expert*innen aus verschiedenen Bereichen wie Medizin oder Justiz hinzugezogen. Das Projekt ist Schritt für Schritt über die Grenzen von Tscherkassy hinausgewachsen. Schließlich waren auch die umliegenden Kleinstädte und Gemeinden involviert. Der Fokus auf lokale Zivilgesellschaft und die Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Ideen hat sich bis heute bewährt”, erklärt Tetjana Kawaltschuk.

Dieses Jahr fiel die Wahl auf das Retreat-Format. Die Nachfrage bestand laut der Koordinatorin des Projekts bereits 2022.

“Wir mussten nach Möglichkeiten suchen, wie wir die Mitarbeiter*innen dieser Organisationen bei der Regeneration unterstützen können. Viele berichteten schon vergangenes Jahr von ihrer Erschöpfung. Die Leute kombinieren Arbeit mit Ehrenamt und humanitären Projekten”, erzählt Kawaltschuk. “Das Retreat-Format haben wir schon vor der Invasion getestet. Damals konnten wir sehen, wie sich der Ortswechsel, die andere Umgebung und die Arbeit mit Psychotherapeuten auf die Menschen auswirkten. Wir haben verstanden, dass dies gerade jetzt notwendig ist”.

Über fünf Tagen hinweg konnten die Teilnehmenden in lockerer Atmosphäre Erfahrungen teilen, Kontakte knüpfen und Techniken psychologischer Selbsthilfe erlernen. Der erste Retreat zielte auf die Vernetzung der verschiedenen Organisationen. Die Teilnehmenden fanden gemeinsame Anknüpfungspunkte für zukünftige Kooperationen. Während des zweiten Retreats erhielten sie Unterstützung von einem Psychologen und konzentrierten sich ganz auf ihr psychisches wie auch physisches Wohlbefinden.

Voraussetzungen eines gelungenen Retreats

Damit die Teilnehmenden sich voll und ganz auf dieses besondere Format einlassen können, orientieren sich die Organisatoren an einigen Grundprinzipien:

  • Die Freiheit man selbst zu sein. Diese Regel erlaubt es den Teilnehmenden aus ihren sozialen Rollen herauszutreten, um den Rhythmus des Alltagslebens zu vergessen. Alle geplanten Aktivitäten sind freiwillig. Wer will, kann seine Energie einbringen, sich für den Prozess interessieren, anderen behilflich sein. Aber man kann auch für sich sein, ausschlafen und Waldspaziergänge unternehmen.
  • Der Raum. Die Retreats finden in der Chata Skraju statt. Das Gebäude befindet sich im Herzen des Urwalds von Cholodnyj Jar im Oblast Tscherkassy. Der Mensch wird geerdet, kann seinen Kopf für eine Weile entlasten. Dabei helfen der rustikale Ofen, das kalte Brunnenwasser, der Duft des Waldes und Aktivitäten wie Übernachtungen im Zelt, Ruhezeiten in der Hängematte, eine sommerliche Dusche oder Meditation am Lagerfeuer. Nebenan befindet sich zudem das ethnografische Bildungs- und Erholungszentrum “Sernolend” und der Bauernhof “Krutyj Samis”.
  • Die Lebensmittelversorgung. Die Teilnehmenden werden mit leckerer, heimischer Kochkunst verköstigt. Das Essen für die Freiwilligen und Aktivist*innenen bereiten Frauen aus der Gemeinde mit lokalen Produkten zu. Auf der Speisekarte steht Borschtsch, Rouladen mit hausgemachter saurer Sahne und Grießküchlein mit Honig. Das Essen steht rund um die Uhr griffbereit.
  • Fürsorge. Die Organisator*innen legen großen Wert darauf, sich persönlich um die Teilnehmenden zu kümmern und auf diese Weise mehr über ihre Bedürfnisse zu erfahren. Die Teilnehmenden wiederum lernen, sich um sich selbst zu sorgen, das eigene “Ich” zu hören, aber auch auf andere zu achten.
  • Das Programm. Die Aktivitäten während des Retreats können variieren, aber sie umfassen immer die drei Sphären Verstand, Körper und Emotionen. Einerseits ermöglicht die Arbeit mit Psychologen den Teilnehmenden die eigene innere Balance zu analysieren und mit Belastung fertigzuwerden. Zweitens sind gestalterisch-haptische Aktivitäten vorgesehen. Dazu gehört etwa die Arbeit mit Lehm, das Kneten und Anrühren von Teig, Malerei, Kerzenherstellung und Reiten. Nicht zuletzt wird dazu animiert, die eigenen Gefühle auszudrücken. Wer möchte, kann herumalbern, weinen oder die Schönheit der umliegenden Natur genießen.

Und was sagen die Teilnehmenden selbst zu dem Angebot?

Juriy Pak hat einen der Retreats besucht. Er stammt aus der Stadt Smila, die nicht weit von Tscherkassy entfernt liegt. Er unterstützt Binnengeflüchtete in der NGO “Aelita”. Juriy sagt, er werde das Projekt in Cholodnyj Jar unbedingt an Bekannte weiterempfehlen. Er selbst sei sicher nicht zum letzten Mal dabeigewesen.

“Ich habe im August teilgenommen. Die vielseitigen Bekanntschaften, die Gespräche mit einem Psychologen und die freundliche Atmosphäre waren wertvoll”, erzählt er.

Tetjana Manujlowa von der NGO “Weg des Guten” hat an beiden Retreats teilgenommen. Sie stammt ursprünglich aus der Region um Luhansk. Ihre Freiwilligenarbeit hat sie 2015 in Uman begonnen. Sie sei auf das Projekt über eine Anzeige bei Facebook aufmerksam geworden, habe sich beworben und sei gemeinsam mit einer Kollegin ausgewählt worden.

“Der Retreat war für mich die Möglichkeit meine Tätigkeit als Freiwillige zu reflektieren und zu verstehen, wo ich mich gerade befinde. Die Erschöpfung nach all der Freiwilligenarbeit war so stark, dass die fünf Tage Retreat einfach nötig waren. Ich habe wieder Energie schöpfen können und neue Ideen entwickelt. Gleichzeitig gab es viel Zeit, um einfach zu entspannen. Außerdem habe ich neue Kontakte geknüpft. Mit einigen von den Mädels halte ich bis heute telefonischen Kontakt. Auf dem zweiten Retreat war eine Psychologin, die mir dabei geholfen hat, traumatische Momente zu verarbeiten. Auch die Organisation hat mir gefallen. Es war allgemein eine tolle Idee”, schwärmt Tetjana.

Und wie geht es nun weiter?

Laut der Leiterin der NGO “Horysont Smin”, Viktoria Feofilowa, hat ihre Organisation in diesem Jahr vier Retreats innerhalb von drei Monaten durchgeführt. Doch die Organisation von Auszeiten für andere verlang dem Team selbst einiges ab. Jeder Retreat will gut vorbereitet sein.

“Wir hängen uns voll und ganz in die Arbeit rein, sodass wir im Anschluss selbst eine Auszeit brauchen. Aber weil wir unsere Arbeit lieben, und verstehen, wie wichtig sie für die Menschen ist, werden wir sie auch weiterhin fortsetzen. Nächstes Jahr versuchen wir den Raum so zu organisieren, dass noch mehr Gruppen ihre Batterien in unserer wunderbaren Chata Skraju aufladen können”, sagt Viktoria.

Nur durch die Unterstützung der Kyjiwer Gespräche konnten im Rahmen zweier Retreats 32 Freiwillige und Aktivist*innen neue Lebenskraft schöpfen.

“Ich würde den Retreat allen empfehlen, die sich emotional ausgebrannt fühlen oder eine Verminderung ihrer Lebensenergie wahrnehmen. Alle, die sich über ihre Prioritäten klar werden wollen, aber es in ihrem intensiven Arbeitsalltag nicht schaffen, den Kopf dafür freizubekommen. Die Zeit, die man hier verbringt, hilft einem dabei, innezuhalten, sich zu erden, den eigenen Gefühlen und Wünschen zu lauschen und in einem geschützten Raum von sich zu erzählen und Empathie zu erfahren. Wir tun alles, um den Menschen dabei zu helfen”, fügt Viktoria hinzu.

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