Der Monitor Luftkrieg Ukraine liefert Analysen zum russischen Luftkrieg gegen die Ukraine. In der neunten Ausgabe blicken wir auf jüngste Entwicklungen im Drohnenkrieg und die Ausweitung der russischen Aggression auf europäisches NATO-Gebiet.
Der Monitor Luftkrieg Ukraine wird von den Kyjiwer Gesprächen in Zusammenarbeit mit dem OSINT- und Datenanalyst Marcus Welsch und der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben.
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► Zusammenfassung
► Lage im September - Analyse und Trends
► Hintergrund - Russische Luftraumverletzungen in Europa
► Über den Monitor
► Methode
► Download
► Impressum
Im September hat Russland Städte und zivile Ziele in der Ukraine mit 5.635 Drohnen angegriffen. Das sind im Schnitt 188 Angriffe pro Nacht – 34 % mehr als im August, aber weniger als im Rekordmonat Juli (knapp 6.300 Angriffe).
Außerdem setzte die russische Armee im September 188 Marschflugkörper (80 %) und ballistische Raketen ein, darunter zum ersten Mal auch den Leichtbau-Marschflugkörper S8000 Banderol. Insgesamt wurden im September somit 5.823 Angriffe gezählt.
Die Situation für die ukrainische Flugabwehr bleibt sehr angespannt. Die Abschussraten für Drohnen sind leicht gestiegen auf 87 % (August: 84 %). Bei Raketen und Marschflugkörpern blieben die Abfangraten im September unverändert, mit einer Tendenz zu weniger abgefangenen ballistischen Raketen.
Die von Angriffsnächten am meisten belasteten Oblaste waren im September Sumy, Charkiw, Dnipropetrowsk, Tschernihiw sowie die Gebiete um Cherson und Kyjiw. Der Beschuss von Kyjiw hat leicht zugenommen, ebenso die Angriffe auf die Oblaste Cherson und Kirowohrad.
Die Zivilbevölkerung in Frontnähe ist zudem Angriffen mit Gleitbomben und Kurzstreckendrohnen ausgesetzt. Das UN-Menschenrechtsbüro Ukraine (UN, 10.9.2025) konstatiert einen Anstieg ziviler Opfer im Vergleich zum Vorjahr um 40 %.
Die Unterstützung der Ukraine bei der Entwicklung neuer Drohnenabwehrsysteme muss deshalb oberste Priorität haben. Davon werden auch die Armeen westlicher Partnerländer profitieren. Insgesamt wird die Drohnenabwehr schwieriger, unter anderem wegen verbesserter russischer Steuerungssysteme und eines neuen Startplatzes auf der Krym.
Sanktionen gegen Russland müssen wirkungsvoller durchgesetzt werden, um dessen Öleinnahmen zu senken. Dies betrifft insbesondere die „Schattenflotte“ Russlands in der Ostsee.
Die in Aussicht gestellte Lockerung der Regeln für den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland (Deep-Strike-Capability) durch die USA kann die Angriffsfähigkeit der russischen Armee reduzieren.
Mit dem Angriff russischer Drohnen auf polnisches Territorium und die systematische Störung des Luftraums anderer europäischer Staaten hat eine neue Phase des Konflikts zwischen Russland und der NATO begonnen.
In der zurückhaltenden Reaktion des Westens auf die Luftraumverletzungen sieht Russland eine Chance, EU und NATO weiter zu spalten. Experten beobachten Parallelen zwischen der aggressiven Rhetorik des Kremls gegenüber Finnland und den Narrativen, mit denen Russland 2021 den Krieg gegen die Ukraine vorbereitet hat.
Durch die russischen Luftraumverletzungen mit Kampfdrohnen wurde die Debatte über eine Flugverbotszone über der Ukraine neu entfacht. Außerdem soll die Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten im Schengen-Raum beschränkt werden, um hybride Aktivitäten in EU-Staaten zu unterbinden
Russland versucht weiterhin, die ukrainische Flugabwehr durch den massiven Einsatz von Langstreckendrohnen zu überfordern (↗ Monitor Vol VII). Im September griff Russland Städte und zivile Ziele in der Ukraine mit 5.635 Drohnen an. Das entspricht im Schnitt 188 Angriffen pro Nacht – 34 % mehr als im August, aber weniger als im Rekordmonat Juli (knapp 6.300 Angriffe).
Der ukrainischen Luftwaffe zufolge setzt Russland bei diesen Angriffen zu 50–60 % Shahed-Drohnen ein. Der Rest sind Drohnen-Attrappen (v. a. vom Typ Gerbera), die deutlich weniger Sprengstoff mitführen können und die ukrainische Flugabwehr überlasten sollen (↗ ISIS, 18.12.2024).
Seit dem 10. Mai gab es keine Nacht, in der Russland ukrainische Städte nicht angegriffen hat. Seit dem Sommer setzt Russland dabei in etwa fünf Nächten pro Monat mehr als 400 Drohnen ein, in knapp 20 Nächten pro Monat sind es mehr als 100. In der Nacht auf den 7. September wurde mit 823 Flugkörpern die größte Angriffswelle seit Beginn des Krieges registriert.
Drohnenkrieg auf gleichbleibendem Niveau
Von Januar bis Ende September 2025 hat Russland rund 40.000 Langstreckendrohnen gegen zivile Ziele in der Ukraine eingesetzt. Geplant war für dieses Jahr der Einsatz von 79.000 Drohnen (↗ Monitor Vol VIII). In den vergangenen zwei Monaten hat Russland die Summe der eingesetzten Drohnen nicht erhöht. Ein Vergleich der angestrebten Produktionszahlen mit dem realen Verbrauch lässt vermuten, dass Russland den eigenen Produktionszielen deutlich hinterherhinkt. Derzeit kann Russland pro Tag im Schnitt zwischen 170 und 180 Langstreckendrohnen einsetzen. Es ist davon auszugehen, dass die Produktion im Lauf der nächsten Monate gesteigert wird.
Im September setzte die russische Armee außerdem 188 Marschflugkörper (80 %) und ballistische Raketen (20 %) ein. Das entspricht etwa dem Durchschnitt der letzten drei Monate. Im September wurden weniger ballistische Raketen eingesetzt, die Russland vermutlich in seinem Arsenal zurückhält. Dies ist nicht nur für die Ukraine, sondern auch für das restliche Europa eine ernst zu nehmende Bedrohung (↗ Monitor Vol VIII).
Neu ist der Einsatz des russischen Marschflugkörpers S8000 Banderol, über den zum ersten Mal im Mai berichtet wurde. Er wird in kostengünstiger Leichtbauweise hergestellt, besteht vor allem aus Bauteilen westlicher Produktion und kann deutlich weniger Sprengstoff tragen als andere Marschflugkörper (↗ The Defense Post, 14.5.25). Die Neuentwicklung dieses Typs und die aktuelle Stagnation der Einsatzzahlen von Raketen lassen vermuten, dass Russland entweder Probleme bei der Produktion hochwertiger – und damit teurerer – Modelle hat oder diese für andere Konflikte bereithält.
Ukrainische Flugabwehr enorm gefordert
Die Zahl der nicht abgefangenen Flugkörper (Drohnen, Marschflugkörper, ballistische Raketen) ist im September auf 800 gestiegen. Das ist der zweithöchste Wert nach Juni 2025. Wenig verändert haben sich die Abschussraten bei Raketen und Marschflugkörpern. Es wird jedoch berichtet, dass ballistische Raketen aufgrund eines veränderten Sinkflugs etwas seltener von ukrainischen Patriot-Raketen abgefangen werden (↗ Financial Times, 2.10.2025). Bei Drohnen ist die Abfangrate leicht gestiegen auf 87 % (August: 84 %). Je nach Region ist die Erfolgsquote der Flugabwehr sehr unterschiedlich.
Frontnahe Städte und Regionen sind nach wie vor am stärksten von den Angriffen betroffen. Im September lagen die Regionen Sumy und Charkiw erneut vor Dnipropetrowsk und Tschernihiw, gefolgt von Cherson und Kyjiw. Beide Städte wurden im September wieder häufiger von Drohnen angegriffen, genau wie die Oblast Kirowohrad. Besonders auffällig waren die starken Angriffe auf die Stadt Cherson.
Zivilisten noch stärker im Visier
Das Open-Source-Investigativportal Tochnyi hat die Angriffe auf die Stadt Cherson gesondert ausgewertet und ihre Dynamik mit einer interaktiven Darstellung rekonstruiert. Tochnyi weist darauf hin, dass seit 2023 allein in Cherson mehr als 3.000 ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten getötet wurden (↗ Tochnyi 30.9.2025).
Screenshot „Human Safari“ von Tochnyi, ↗ Tochnyi, 30.9.2025
Die stark umkämpfte Stadt Kostjantyniwka wurde in den letzten Septembertagen bis zu zehnmal am Tag mit Gleitbomben angegriffen, wobei ebenfalls Zivilistinnen und Zivilisten starben. Weitere Angriffe auch mit Drohnen wurden in Slowjansk, Serhijiwka und in einem Krankenhaus im Rajon Dniprowski (Stadt Cherson) registriert (↗ ISW, 25.9.2025).
Das UN-Menschenrechtsbüro Ukraine berichtete Anfang September, die Zahl ziviler Opfer sei in den ersten acht Monaten dieses Jahres im Vergleich zu 2024 um 40 % gestiegen. Mit russischen Kurzstreckendrohnen würden in Frontgebieten zudem gezielt Zivilpersonen verfolgt und getötet – ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht (↗ OHCHR, 22.9.2025).
Russland greift weiter Kraftwerke, die Stromverteilung, Produktionsstandorte und Bahnstrecken an. Dabei geht es nicht nur um die Zerstörung der Infrastruktur. Bis März 2025 starben 792 Eisenbahnangestellte in Russlands Luftkrieg, mehr als 2.300 wurden verletzt (↗ SZ, 18.9.2025). Bei Angriffen auf ein mehrstöckiges Gebäude in der Stadt Dnipro wurde international geächtete Streumunition verwendet, die für Zivilistinnen und Zivilisten eine zusätzliche Gefährdung darstellt (↗ Euronews, 20.9.2025).
Es ist davon auszugehen, dass Russland seine Drohnenangriffe in den nächsten Monaten verstärkt und dabei vor allem zivile Ziele trifft. Außerdem werden die schwer zu steuernden Drohnen der Shahed-Reihe kontinuierlich weiterentwickelt und damit zielgenauer. Seit September nutzt die russische Luftwaffe einen zusätzlichen Startplatz für Drohnen auf der Krym, der die Frühwarnzeiten besonders für die Oblaste Odessa und Cherson weiter verkürzt.
Empfehlungen
Die Ukraine benötigt weiterhin hochwertige Flugabwehr gegen Raketen, neue Drohnenabwehrsysteme und genügend Munition für beides. Westliche Staaten sollten dafür die Entwicklung von Drohnenabwehrsystemen vor Ort in der Ukraine technologisch und finanziell unterstützen und insbesondere die Erfahrungswerte aus der Weiterentwicklung von Drohnentechnologie nutzen.
Von dieser Expertise könnten auch europäische Rüstungsfirmen und Armeen profitieren, denn viele haben es versäumt, selbst ähnliche Technologien zu entwickeln und in die eigenen Verteidigungssysteme zu integrieren. Wie dringend dies nötig ist, haben zuletzt die russischen Angriffe auf den Luftraum europäischer NATO-Länder gezeigt.
Sanktionen gegen Russland müssen wirkungsvoller durchgesetzt werden. Dazu gehört vor allem die Kontrolle der russischen Schattenflotte in der Ostsee. Sie ermöglicht es Russland, seine Hochrüstung durch Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu finanzieren. Zudem erhöht der Zustand der maroden Tankerflotte das Risiko von Havarien und bedroht damit zusätzlich die Ostseeanrainer.
Ukrainische Angriffe auf russische Produktions- und Logistikstandorte (sog. deep strikes) sollten durch moderne westliche Lenkflugkörper und Technologie unterstützt werden (↗ Monitor Vol VIII), um die Angriffsfähigkeit Russlands langfristig zu schwächen. In jüngster Zeit deutet sich an, dass die US-Regierung Langstreckenangriffe auf russisches Territorium mit ihren Waffensystemen erleichtern könnte (↗ ISW, 29.9.2025).
Drohnenangriffe auf NATO-Staaten im Osten
Mit dem Angriff russischer Drohnen auf polnisches Territorium in der Nacht zum 10. September ist der Konflikt zwischen Russland und der NATO in eine neue Phase getreten.
Russland hat den Luftraum der NATO nicht zum ersten Mal verletzt. Dennoch markierte diese Nacht, so der estnische Verteidigungsexperte Aleksander Olech, eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hätten polnische Streitkräfte eine Bedrohung über ihrem Territorium kinetisch (durch den Einsatz von Abfangkörpern) abwehren müssen. Es war auch das erste Mal, dass die NATO Abwehrwaffen im eigenen Luftraum einsetzte (↗ Gazeta Wyborcza, 29.9.2025).:
Der Angriff am 10. September erfolgte durch russische Langstreckendrohnen – mehrheitlich Attrappen vom Typ Gerbera, die auch in der Ukraine eingesetzt werden. Anders als Russland behauptet, waren die Drohnen aufgrund zusätzlicher Treibstofftanks in der Lage, über ihre normale Reichweite hinaus zu fliegen (↗ WP tech 11.9.2025).
Polen aktivierte daraufhin seine Flugabwehr mit polnischen F-16- und niederländischen F-35-Kampfflugzeugen und wurde durch NATO-Tankflugzeuge, deutsche Patriot-Systeme und ein italienisches AWACS-Überwachungsflugzeug unterstützt. Zwei Tage nach dem Vorfall stattete die NATO mit der Operation Eastern Sentry die östlichen Grenzen des Bündnisses mit einer verstärkten Luft- und Bodenabwehr aus.
Russland verletzte in den folgenden Tagen den Luftraum weiterer NATO-Staaten. Als am 13. September eine Drohne in den rumänischen Luftraum eindrang, war dies dem rumänischen Verteidigungsministerium zufolge bereits die elfte Verletzung des Luftraums seit 2022 (↗ ABC News, 14.9.2025; BBC, 14.9.2025).
Provokationen im NATO-Ostseeraum
Am 19. September drangen drei russische Abfangjäger vom Typ MiG-31 für zwölf Minuten in den estnischen Luftraum ein, weniger als zehn Kilometer von der Küste entfernt und auffällig nah an der Hauptstadt Tallinn. Italienische F-35-Kampfflugzeuge fingen die Flugzeuge ab. Auch Finnland und Schweden setzten zur Überwachung eigene Flugzeuge ein.
Russische Kampfflieger haben den estnischen Luftraum schon häufiger tangiert oder kurz durchquert. Aleksander Olech geht von 40 derartigen Grenzüberschreitungen allein in Estland seit 2014 aus.
Deutsche Militärexperten werteten die sogenannte grayzone aggression vom 19. September als einen auffallend lang andauernden Vorfall (↗ augengeradeaus, 20.9.2025). Als „beispiellos dreist“ bezeichnete der estnische Außenminister Margus Tsahkna den jüngsten Störungsversuch Russlands – den vierten in diesem Jahr (↗ Außenministerium Estlands, 19.9.2025).
Ebenfalls am 19. September verletzen russische Kampfflugzeuge die Sicherheitszone einer polnischen Öl- und Gas-Bohrinsel. Das Institute for the Study of War (ISW) geht davon aus, dass Russland weitere Luftraumverletzungen durchführen wird, um Daten über Reaktionszeit und Kapazitätsgrenzen der NATO zu sammeln und die Bevölkerung zu verunsichern (↗ ISW, 20.9.2025). Auch deutsche Abfangjäger waren am 21. September mit zwei Eurofightern beteiligt, als ein russisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Iljuschin Il-20M abzufangen war. Ein ähnlicher Vorfall im Luftraum der Insel Rügen hatte bereits am 27. März 2025 einen Quick Reaction Alert (QRA) bei der deutschen Luftwaffe ausgelöst (↗ NDR, 28.3.2025).
Ziviler Luftraum über Europa gezielt gestört
In der Nacht zum 23. September wurden die Flughäfen Oslo und Kopenhagen für mehrere Stunden wegen Drohnensichtungen gesperrt. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wertete dies als „bislang schwersten Anschlag auf dänische kritische Infrastruktur“ (↗ ZEIT, 23.9.2025). Nicht identifizierte Drohnenüberflüge im Luftraum über dänischen, litauischen, norwegischen und finnischen Flugplätzen, Kraftwerken und militärischen Einrichtungen haben im Verlauf des Septembers stark zugenommen (↗ ISW, 27.9.2025).
Darüber hinaus kam es im September zu ungeklärten Hackerangriffen auf Flughäfen in Berlin, London, Brüssel und Dublin. Der EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, Andrius Kubilius, erklärte, derzeit seien etwa 40 % aller zivilen Flüge innerhalb der EU von Hackerangriffen oder der Signalstörungen betroffen. Allein in Litauen seien im August 1.000 derartige Fälle registriert worden (↗ Ukrinform, 15.9.2025).
Einordnung der Vorgänge, mögliche Antworten
Nach Einschätzung des Centre for Eastern Studies (Ośrodek Studiów Wschodnich, OSW) in Warschau sieht Russland in der zurückhaltenden Reaktion des Westens auf die Luftraumverletzungen eine Chance, die EU und NATO weiter zu spalten. Russland versuche zudem, westlichen Regierungen die steigenden Kosten für die Unterstützung der Ukraine vor Augen zu führen. Deswegen sei eine weitere Eskalation zu erwarten, solange der Westen nicht entschieden und geschlossen auf die zunehmend aggressiven Provokationen Russlands reagiere (↗ OSW, 10.9.2025).
Parallelen zwischen der Ukraine und Finnland
Das ISW beobachtet Parallelen zwischen der aggressiven Rhetorik des Kremls gegenüber Finnland und den Narrativen, mit denen Russland 2021 den Krieg gegen die Ukraine vorbereitete. Im Verteidigungsausschuss der Staatsduma wurde Finnland vorgehalten „schneller als die Ukraine zu einer echten Brutstätte des Faschismus“ zu werden. Präsident Putin, sein sicherheitspolitischer Berater Nikolai Patruschew und ranghohe Beamte würden ähnliche Drohungen aussprechen, die den Formulierungen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine ähneln. Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates, sprach dabei von „Grundursachen“, einer Formulierung, die russische Offizielle regelmäßig nutzen, um auf die ursprünglichen Kriegsziele Moskaus in der Ukraine zu verweisen (↗ ISW, 9.9.2025). All das spiegelt das „Drehbuch“ wider, mit dem Russland die Informationsbedingungen zur Legitimation eines Angriffs auf die Ukraine geschaffen habe (↗ ISW, 18.9.2025).
Russische False Flag-Operationen verhindern
Das ISW warnt davor, Russland könne die Ukraine in Zukunft gezielt für Sabotageakte oder Angriffe auf westliche Länder verantwortlich machen. So habe der russische Auslandsgeheimdienst SVR am 30. September behauptet, die Ukraine bereite unter falscher Flagge einen Angriff auf kritische Infrastruktur in Polen vor, um Russland und Belarus zu belasten. Bei zukünftigen Sabotageakten könnte Russland diese Argumentation nutzen, um jede eigene Verantwortung abzustreiten und das Vertrauen in die Ukraine zu schwächen (↗ ISW, 30.9.2025).
Der polnische Außenminister Radosław Sikorski und der Militärexperte Gustav Gressel fordern, den Bewegungsradius russischer Diplomatinnen und Diplomaten innerhalb der EU deutlich einzuschränken – insbesondere in Ländern, in denen russische Geheimdienste Scheinfirmen betreiben (↗ Die Welt, 24.9.2025). Nach mehreren Brandanschlägen in Polen, hinter denen der russische Militärgeheimdienst GRU vermutet wird, erlaubt Polen russischen Diplomatinnen und Diplomaten nur noch, sich im Gebiet um Warschau zu bewegen. Sikorski zufolge nehme ein Teil der rund 2.000 russischen Diplomatinnen und Diplomaten in der EU „Aufgaben wahr, die mit ihrem diplomatischen Status unvereinbar sind“ (↗ Gazeta Wyborcza, 12.9.2025). Polen appelliert deshalb an seine EU-Partner, russischen Diplomaten die freie Bewegung im Schengen-Raum zu verbieten.
Debatte um Flugverbotszone
Sikorski bringt außerdem eine Flugverbotszone über Teilen der Ukraine ins Spiel (FAZ, 15.9.2025) – ein Vorschlag, über den bereits unmittelbar nach Beginn der russischen Vollinvasion 2022 öffentlich diskutiert wurde (↗ augengeradeaus, 15.3.2022). Im März dieses Jahres wurde eine von Europa geführte integrierte Luftschutzzone (IAPZ), die Kampfluftpatrouillen (CAPs) über nicht umkämpften Gebieten der Ukraine einsetzen soll, unter dem Namen „SkyShield“ diskutiert (↗ Guardian, 6.3.2025).
Der britische Sicherheitsexperte Nathaniel England geht einen Schritt weiter und plädiert für eine übergreifende Strategie für die Ukraine und Europa. Die Staatlichkeit der Ukraine, so England, könne nur erhalten bleiben, wenn deren Streitkräfte entlastet würden. Gleichzeitig müsse Russland daran gehindert werden, weitere Fronten in Europa zu eröffnen.
Neben einer Sicherheitszone entlang der westlichen Grenze der Ukraine zu Belarus plädiert England vor allem dafür, den Luftraum der Ukraine stärker zu schützen. Er nennt dies eine sanctuary strategy – also eine Strategie, die „Zufluchtsorte“ in der Ukraine schafft, indem westliche Partner den Luftraum der Ukraine wenigstens teilweise schützen.
Karte: Kyjiwer Gespräche, nach Angaben von Nathaniel England in ↗ RUSI, 19.9.2025
Englands Vorschlag sieht eine no fly zone (NFZ) über der Zentral- und Westukraine vor, die sich vom Dreiländereck (Belarus–Russland–Ukraine) südöstlich bis Pawlohrad (Oblast Dnipropetrowsk), südwestlich über Krywyj Rih nach Mykolajiw, dann westlich bis Dobroslaw (Oblast Odessa) und von dort südlich von Odessa bis zur Grenze des rumänischen Luftraums am Schwarzen Meer erstreckt. Eine solche NFZ würde das gesamte ukrainische Kernland schützen und die Grenze zu Belarus abdecken. Moskau hätte dann keine Möglichkeit mehr, die ukrainische Flugabwehr im Norden zu umgehen. Während europäische Partnerländer das Landesinnere der Ukraine schützen würden, könnte sich die ukrainische Armee auf die Rückgewinnung von Territorien im Osten und den Widerstand gegen Russlands Offensiven konzentrieren.
Die Durchsetzung einer solchen Flugverbotszone beruht England zufolge auf zwei Komponenten: einer mehrschichtigen Flugabwehr zum Abfangen von Raketen und einer schnell reagierenden Patrouille zur Bekämpfung von Flugzeugen oder Drohnen, die in die NFZ eindringen. Ihre Befehls- und Koordinationsstrukturen sollten dem Luftraumüberwachungssystem der NATO ähneln: mit klaren Einsatzregeln und gemeinsamer Aufsicht. Es handelt sich jedoch nicht um eine NATO-Mission. Vielmehr ist sie ein Versuch, ohne die Beteiligung der USA eine Antwort auf das Vorgehen Russlands zu finden, die eine abschreckende Wirkung entfalten soll (↗ RUSI, 19.9.2025).
Es bedarf einer Antwort an Moskau, die progressive Ansätze nicht aus Angst vor einer russischen Eskalation von vorne herein ausschließt. Die jüngsten Drohnenangriffe an der Ostflanke der NATO zeigen, dass die ukrainische Verteidigung allein das Risiko eines Übergreifens der Feindseligkeiten auf NATO-Länder nicht vollständig ausschließen kann. Im Interesse der Sicherheit Europas und auch Deutschlands muss eine gemeinsame Strategie entwickelt werden, die die Ukraine deutlich mehr entlastet und Moskau unmissverständlich klarmacht, dass jede Ausweitung des Krieges, ob konventionell, nuklear oder hybrid, zum Scheitern verurteilt ist.
Der monatlich erscheinende Newsletter „Monitor Luftkrieg Ukraine – Analysen zum Schutz ukrainischer Städte und Infrastruktur“ stellt Analysen der aktuellen Angriffswellen bereit und zeigt Trends auf, die Einschätz-ungen zur weiteren militärischen Entwicklung und zu den militärischen Kapazitäten Russlands zulassen.
Der Monitor Luftkrieg Ukraine richtet sich an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, an Expertinnen und Experten im sicherheits- und militär-politischen Bereich sowie an Fachjournalistinnen und Fachjournalisten. Ziel des Monitors ist es, datenbasierte Empfehlungen zu formulieren, wie westliche Partnerländer den Schutz der Ukraine vor russischen Luftangriffen besser unterstützen können. Seit Herbst 2022 ist aus akribischer Analyse- arbeit eine umfangreiche Datenbank ent- standen, die jeden einzelnen Luftangriff Russlands auf zivile Ziele der Ukraine erfasst.
Der Monitor Luftkrieg Ukraine wird von den „Kyjiwer Gesprächen“ in Zusammenarbeit mit dem OSINT- und Datenanalyst Marcus Welsch und der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben.
Weitere Informationen zu der Reihe sowie weitere Ausgaben finden Sie auf unserer Website (↗ kyiv-dialogue.org).
Über den Autor
Marcus Welsch ist selbstständiger Analyst, Dokumentarfilmer und Publizist. Welsch be-schäftigt sich mit OSINT-Journalismus und Datenanalysen seit 2014, besonders zum russischen Krieg gegen die Ukraine, zu mil-itärischen und außenpolitischen Themen, sowie zum deutschen Diskurs darüber.
In Kooperation mit den Kyjiwer Gesprächen führt Marcus Welsch seit 2023 Recherchen und Podiumsdiskussionen zur westlichen Sanktionspolitik durch.
Seit 2015 betreibt er die Daten- und Analyse-Plattform ↗ Perspectus Analytics.
Über die Kyjiwer Gespräche
Die Kyjiwer Gespräche sind eine unabhängige zivilgesellschaftliche Plattform zur Förderung des Dialogs zwischen der Ukraine und Deutschland.
Gegründet 2005 als ein internationales Konferenzformat zu gesellschaftlichen und politischen Themen, unterstützen sie seit 2014 zivilgesellschaftliche Initiativen zur Stärkung lokaler Demokratie in der Ukraine.
Seit der russischen Vollinvasion 2022 liegt der Schwerpunkt auf gesellschaftlicher Resilienz, sozialem Zusammenhalt sowie sicherheits-politischen Themen wie der militärischen Unterstützung für die Ukraine und der westlichen Sanktionspolitik.
Die Kyjiwer Gespräche sind ein Programm des Europäischen Austausch gGmbH.
Die Datenbank wird regelmäßig mit den Tagesberichten des Institute for the Study of War (ISW) in Washington abgeglichen (↗ ISW). Die erfassten Abschüsse stammen aus Berichten der ukrainischen Luftwaffe (↗ KPSZSU), für die Erwähnung regionaler Ziele und Schäden werden - wenn vorliegend - die Angaben ziviler und militärischer Verwaltungen herangezogen und durch zusätzliche OSINT-Quellen abgeglichen und gelten als weitgehend plausibel.
Datenquellen der Datenbank
Die genaue Quantifizierung von Luftangriffs-schäden ist im Kriegsfall problematisch. Zu genaue Angaben würden der russischen Kriegsführung bei der Bewertung und Planung neuer Angriffe in die Hände spielen. Deswegen unterliegt die Berichterstattung Einschränkungen (↗ Expro, 2.1.2025).
Diese Datenauswertung konzentriert sich deswegen auf die Analyse der Angriffe und ihre Dynamik und weniger auf die Auswertung der Schäden.
Mit Datenpunkten über 37 Monate und über 58.800 ausgewerteten Angriffen lassen sich robuste Trends aufzeigen.
Die monatlichen Zahlen der Flugkörper sind Näherungswerte, da Unregelmäßigkeiten im ukrainischen Zähl- und Meldesystem fest-gestellt wurden. Abweichungen zu anderen OSINT-Zählungen liegen bei etwa 10 % und darunter, oft unter 3 %.
Ein Vergleich mit der Flugkörperauswertung des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington über einen Zeitraum von über zwei Jahren ergibt eine Abweichung von lediglich 1,6 % (↗ CSIS).
Bei Angriffen, die keine eindeutige Quantifi-zierung zulassen, wurden die niedrigeren naheliegenden Werte skaliert. Die Abschuss-raten bei hoher Intensität können aufgrund von ausgebliebenen Meldungen höher ausfallen als angegeben, es wird von einer Abweichung von unter 5 % ausgegangen.
IMPRESSUM
Herausgeber:
Europäischer Austausch gGmbH
Erkelenzdamm 59, D-10999 Berlin
Konrad-Adenauer Stiftung e. V.
Klingelhöferstraße 23, 10785 Berlin
Vertreten durch (ViSdP):
Stefanie Schiffer (Europäischer Austausch gGmbH)
Thomas Vogel (Europäischer Austausch gGmbH)
Dr. Jan-Philipp Wölbern (Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.)
Redaktion und Gestaltung:
Matthias Meier
Lektorat:
Ulrike Gruska
Die Inhalte dieser Publikation und externer Links geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber wieder.
Titelbild: Flugrouten russischer Flugkörper in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2025, Telegram-Kanal monitorwar (↗ monitorwar, 3.10.25)