Pressefreiheit in Gefahr? Wie Präsident Selenskyj gegen die Oligarchen kämpft und dabei seinen Einfluss auf die Medien stärken will

Im November wurde die englischsprachige ukrainische Zeitung Kyiv Post geschlossen, was viele Beobachter*innen in Deutschland und in anderen Ländern beunruhigt hat. Das war aber nur eines von vielen Ereignissen in diesem turbulenten Jahr für die ukrainische Medienfreiheit.

Denis Trubetskoy analysiert die Hintergründe der Entwicklungen.

Anfang November wurde die ukrainische Medienlandschaft von einer unerfreulichen Nachricht erschüttert. Nach 26 Jahren stellte die englischsprachige Zeitung Kyiv Post auf Wunsch ihres Verlegers, des Bauunternehmers Adnan Kiwan aus Odessa, vorerst ihr Erscheinen ein. Die Redaktion mit Chefredakteur Brian Bonner an der Spitze wurde praktisch von heute auf morgen entlassen.

Kiwan soll nun eine vollständige Neuauflage der Publikation planen, möglicherweise kommen auch ukrainisch- und russischsprachige Versionen des Mediums hinzu. Dafür muss der syrischstämmige Unternehmer, der laut Forbes zu den 50 reichsten Ukrainer*innen gehört, allerdings das gesamte journalistische Personal der Zeitung auswechseln. Die bisherige Redaktion befindet sich inzwischen im Gründungsprozess eines neuen Mediums mit dem Namen Kyiv Independent. Chefredakteur Bonner ging nach der Entlassung durch Kiwan in Rente.

Die Kyiv Post, die jeden Freitag mit einer Auflage von rund 10 000 Exemplaren erschienen ist, spielte für den innenpolitischen Diskurs des Landes auf den ersten Blick so gut wie keine Rolle. Allerdings wurde sie nicht nur in den Botschaften anderer Länder gelesen, sondern war auch eine wichtige englischsprachige Stimme im Internet, die die Ereignisse um die Maidan-Revolution, die Krim-Annexion und den Donbass-Krieg mit journalistischer Distanz erklärte und einordnete. Nicht zuletzt wegen der internationalen Bedeutung der Kyiv Post gibt es Grund zur Annahme, dass Kiwans Entscheidung einen politischen Hintergrund haben könnte. Journalist*innen des Online-Mediums Ukrajinska Prawda berichteten zum Beispiel über angeblichen Druck aus dem Präsidentenbüro von Wolodymyr Selenskyj. Von den ehemaligen Mitarbeiter*innen der Kyiv Post wurden diese Vermutungen allerdings nicht bestätigt.

Als bedeutender Bauunternehmer hätte Kiwan zwar mit Sicherheit Interesse an guten Beziehungen zu den aktuellen Machthabern, sei es Präsident Selenskyj oder sein Vorgänger Petro Poroschenko, meint Andrij Janizkyj, Chef des Journalismus-Zentrums an der Kyiv School of Economics. „Ich bin aber der Meinung, dass die Schuld hier doch eindeutig bei Kiwan liegt. Auf den tschechischen Investor Tomas Fiala (dem die Zeitschrift NV sowie Ukrajinska Pravda gehören) wird bestimmt nicht weniger Druck ausgeübt“, betont Janizkyj. „Meine These ist eher, dass Kiwan vielleicht selbst Selenskyj einen Gefallen tun wollte. Die Frage ist: Warum kauft man überhaupt eine zutiefst unrentable Publikation? Es ist offensichtlich, dass Kiwan mit dem Erwerb der Zeitung 2018 an Einfluss gewinnen wollte.“ In politischen Kreisen wird vermutet, dass der Unternehmer aus Odessa so zu einem Oligarchen mit landesweiter Bedeutung aufsteigen wollte. Das ist ihm jedoch vorerst nicht gelungen. Was genau zur vorübergehenden Schließung der Kyiv Post geführt hat, bleibt jedenfalls weiterhin Gegenstand von Spekulationen.

Nachdem bereits im Frühjahr 2021 drei prorussische Nachrichtensender um den moskautreuen Politiker und Unternehmer Wiktor Medwedtschuk gesperrt wurden (wir berichteten), wurde im August die russlandfreundliche Nachrichtenseite Strana.ua geblockt. In diesem Fall fiel die Kritik jedoch lauter aus, weil bis heute keine ernsthafte Begründung vorliegt, warum genau das umstrittene Medium blockiert wurde. „Ich finde die außergerichtliche Sperrung von den drei Nachrichtensendern gerechtfertigt, denn es ging dabei um Fragen der nationalen Sicherheit“, sagt Medienexperte Janizkyj. „Es gibt aber Befürchtungen, dass solche Mechanismen auch gegen andere Medien eingesetzt werden könnten.“

Ein weiteres Thema, welches gerade für Diskussionen in Bezug auf die Medienlandschaft sorgt, ist das Ende September verabschiedete sogenannte Oligarchengesetz. Dieses Gesetz führt den Begriff des Oligarchen in die ukrainische Gesetzgebung ein. Ein Oligarch ist demnach ein Unternehmer, der drei der folgenden vier Kriterien erfüllt: der Besitz von Aktiva im Wert von über 80 Millionen Dollar; eine aktive politische Tätigkeit; die Monopolstellung in einem Wirtschaftsbereich; eine erhebliche Einflussnahme auf die Medien. Wer zum Oligarchen erklärt wird, soll der Nationale Sicherheitsrat entscheiden, der Selenskyj untersteht und bereits die prorussischen Medien sperren ließ.

Der Kampf gegen die Oligarchen war 2019 ein wichtiger Bestandteil von Selenskyjs Präsidentschaftswahlkampf. Ihr starker Einfluss auf das politische Leben des Landes gehört zu den Hauptproblemen der Ukraine. Nicht zuletzt deswegen wurde diese Message von Selenskyjs Wähler*innen überwiegend mit Begeisterung aufgenommen.

Weitreichende Folgen wird das Oligarchengesetz dabei voraussichtlich nicht haben: Zwar dürfen Oligarchen zukünftig keine politischen Parteien mehr finanzieren und nicht an den Projekten der sogenannten Großen Privatisierung teilnehmen (entsprechend dem gesetzlich verankerten Prozess der Privatisierung dürfen rund 80 Prozent der ukrainischen Staatsunternehmen privatisiert werden). Ex-Präsident Petro Poroschenko hat bereits auf das Gesetz reagiert und seine beiden Informationssender Prjamyj („Direkt“) und Kanal 5 in einer Holding vereint, an der er selbst lediglich zehn Prozent der Anteile besitzt.

Das Medienimperium von Rinat Achmetow, des reichsten Mannes der Ukraine, eröffnete seinerseits im Zuge des Oligarchengesetzes einen offenen Krieg gegen Selenskyj: In den Beiträgen von Ukrajina, dem beliebtesten Sender des Landes, und von Ukrajina 24, dem Marktführer im Bereich Information, werden die Hintergründe des Gesetzes permanent zu einem Kampf des Präsidenten gegen die Medienvielfalt des Landes stilisiert.

„Die Folgen für die Oligarchen dürften zwar aber überschaubar sein, und ihr großer Einfluss auf die Medien ist grundsätzlich nicht gut. Es ist aber eine Entwicklung, die ich mit großer Besorgnis beobachte“, meint Halyna Petrenko, Direktorin des Medien-Watchdogs Detector Media. „Denn es darf einfach nicht sein, dass der Sicherheitsrat bestimmt, wer Oligarch ist und wer Einfluss auf die Medien haben darf. Das gehört überhaupt nicht zu den Aufgaben dieser Einrichtung.“

Den Medienkrieg zwischen Selenskyj und Achmetow finden sowohl Petrenko als auch Janijzkyj darüber hinaus auch deswegen interessant, weil der Nachrichtensender Ukrajina 24, der Ende 2019 auf Sendung ging, zu Beginn durchaus als Sprachohr der Regierung galt. „Dass der Ministerpräsident und die Minister ständig im Sender auftraten, gab dem Kanal, der damals keine große Einschaltquote hatte, gleich viel Gewicht“, kommentiert Petrenko.

„Offensichtlich hatte das Präsidentenbüro damals noch nicht begriffen, dass man auf Kosten eines Oligarchen mit eigenen Interessen kaum einen präsidententreuen Sender aufbauen kann“, fügt Janizkyj hinzu. Ausschlaggebend für den Konflikt sieht er dabei weniger das Oligarchengesetz als vielmehr Meinungsverschiedenheiten in den für Achmetow wichtigen Fragen wie der Situation der Ukrainischen Bahn und den staatlichen Auszahlungen an seinen Energiekonzern DTEK.

Nachdem der wohl bekannteste ukrainische Journalist Dmytro Gordon Präsident Selenskyj auf Ukrajina 24 für erledigt erklärt hatte, boykottieren die Vertreter des Präsidentenbüros sowie der Präsidentenpartei die Achmetow-Medien.

Während einer fragwürdigen Pressekonferenz am 26. November, zu der nur 30 ausgewählte Journalist*innen geladen waren, warf Selenskyj Achmetows Umfeld sogar vor, zusammen mit russischen Akteuren einen Staatsstreich geplant zu haben. „Der Boykott der Medien um Achmetow ist eine voreilige und kurzsichtige Entscheidung“, glaubt Halyna Petrenko. Und zwar nicht zuletzt deswegen, weil Präsident Selenskyj selbst kaum Medien hat, auf deren informelle Unterstützung er zählen kann. „Leider rutscht jeder ukrainische Präsident in den Automatismus, das sogenannte Informationsfeld zu kontrollieren oder es zumindest zu versuchen“, meint Andrij Janizkyj. Die Pressekonferenz wurde in Journalist*innenkreisen breit kritisiert – nicht nur, weil keine Akkreditierung möglich war, sondern auch wegen des abfälligen Tons, in dem Selenskyj mit den Journalist*innen sprach.

Dabei darf die Rolle der Medien bei Wolodymyr Selenskyjs Wahlsieg nicht unterschätzt werden. Denn im beliebten nationalen Sender 1+1, der dem umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört, läuft seit Jahren die früher von Selenskyj geführte Satire-Sendung Wetschirnij Kwartal („Das Abendquartier“), die zu den beliebtesten Shows des Landes gehört. Auch die Serie „Diener des Volkes“, in der Selenskyj einen Geschichtslehrer spielt, der zum ukrainischen Präsidenten wird, lief auf 1+1 – die letzte Staffel sogar kurz vor den Wahlen 2019.

Heutzutage bleibt 1+1 grundsätzlich auf der Linie des Präsidenten, doch die Beziehungen zwischen Selenskyj und Kolomojskyj sind nicht einfach. „Es geht hier um eine Art gegenseitige Abhängigkeit“, meint Janizkyj. „Selenskyj kann Kolomojskyj nicht offen angreifen, weil er unter anderem von seinen Medien abhängig ist. Kolomojskyj hängt aber auch von Selenskyj ab, weil in den USA ein Verfahren gegen ihn wegen angeblicher Geldwäsche läuft, und die Ukraine ist wohl das einzige Land, das Kolomojskyj im Fall der Fälle nicht ausliefern würde.“

Dieses Kräfteverhältnis ist für das Präsidentenbüro offensichtlich viel zu instabil. Deswegen sucht man nach anderen Lösungen. Dabei wird der öffentliche Sender UA:Perschyj immer mehr zum Dorn im Auge. „Vonseiten des Senders gab es klare Statements über Einflusseinnahmen, zum Beispiel über die Gästeauswahl für verschiedene Talkshows“, betont Halyna Petrenko. „Durch die Auftritte der Medienexperten aus Selenskyjs Umfeld wird immer offensichtlicher, dass das Präsidentenbüro gerne die Auswahlkriterien für den Aufsichtsrat ändern würde“, sagt Andrij Janizkyj. „Im Augenblick ist dieser fachlich gut besetzt und besteht aus Mitgliedern der Journalistenvereinigungen. Man würde aber das Gesetz gerne so ändern, dass politische Institutionen wie das Parlament oder die Regierung auch ihre Vertretung bekommen, um den staatlichen Einfluss zu verstärken. Die G7-Botschafter haben deswegen bereits Besorgnis geäußert.“

Gleichzeitig will man den Staatssender Dom („Heim“), ursprünglich als Sender für die besetzten Gebiete im Donbass und auf der von Russland annektierten Krim gedacht, landesweit ausstrahlen. In letzter Zeit sind in der Hauptstadt Kyjiw vermehrt Werbebanner von Dom zu sehen. Würde Dom landesweit senden, wäre allerdings auch die ukrainische Gesetzgebung ein Problem. Denn formell ist Dom ein Auslandssender, und deswegen darf dieser auch grundsätzlich auf Russisch senden. Ein ukrainischer Sender müsste jedoch überwiegend auf Ukrainisch senden. „Sie können dieses Problem natürlich durch Ausnahmen im Gesetz lösen“, sagt Halyna Petrenko. „Es wäre aber ein klarer Wettbewerbsvorteil, mit dem andere Sender unzufrieden wären, denn große Fans der geltenden Sprachquoten sind sie ohnehin nicht.“

Zu den Plänen um Dom kommen zunehmend Gerüchte hinzu, dass auf der Basis des Musiksenders M2 ein neuer Nachrichtensender im Sinne des Präsidentenbüros aufgebaut werden könnte. Ihor Palizja, Parlamentsabgeordneter, Unternehmer und Verbündeter von Ihor Kolomojskyj, hat sich zudem zuletzt überraschend 15 regionale Sendelizenzen gesichert. Außerdem ist laut Medienberichten ein Neustart des Parlamentssenders „Rada“ geplant – dort werden bald nicht mehr alle Parlamentssitzungen in voller Länge ausgestrahlt, wie es bis heute der Fall war. Auch in diesem Fall wird befürchtet, dass Inhalte, die der Präsidentenpartei wichtiger sind, mehr Platz bekommen.

„Deswegen vermutet man in der Ukraine nicht zu Unrecht immer mehr den Aufbau eines möglichen Medienimperiums um Präsident Selenskyj“, resümiert Andrij Janizkyj. Ob das ausreicht, um etwa mit den Medien um Rinat Achmetow zu konkurrieren, bleibt fraglich. Was diese Entwicklungen aber klar zeigen: die Lage der Pressefreiheit in der Ukraine muss weiterhin sehr genau beobachtet werden. Die Hinweise auf den Ausbau der Einflussnahme durch den Präsidenten sind ernst zu nehmen; langfristig könnte sie zur Einschränkung der Pressefreiheit führen.

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