Wie „Opa Juchim” die Dorfjugend fördert

Im Jahr 2021 sind die Kyjiwer Gespräche in fünf Regionen der Ukraine aktiv: Poltawa, Ternopil, Wolyn, Saporischschja und Winnyzja. Im Rahmen unserer Reportagen-Serie "Was die Region bewegt" berichten wir von interessanten Entwicklungen vor Ort.

Zu den positiven Errungenschaften der Dezentralisierungsreform zählen die vielen Jugendinitiativen, die in Städten und Dörfern überall in der Ukraine entstanden sind. Unsere Reportage beleuchtet eine davon näher – das Jugendzentrum „Did Juchim” in Kopatschiwka in der Oblast Wolyn.

Von Dmytro Besverbnyj, Kopatschiwka. Aus dem Ukrainischen von Beatrix Kersten

Kopatschiwka liegt 17 Kilometer nördlich von Lutsk, dem Verwaltungszentrum der Oblast Wolyn. Es hat eine vielschichtige Vergangenheit: einst lebten hier polnische Adelige, dann deutsche Siedler, im ersten und zweiten Weltkrieg kam es in der Gegend zu heftigen Kampfhandlungen.

Zur interessanten Geschichte gesellt sich eine vielversprechende Gegenwart: Kopatschiwka ist das Zentrum der gleichnamigen Territorialgemeinde und die unmittelbare Nachbarschaft zu zwei Städten trägt zu einer vergleichsweise guten Situation auf dem Arbeitsmarkt bei. Hinzu kommen natürliche Ressourcen in Form von Wäldern, Ackerland und Wasser. Und dann gibt es da noch eine tolle Initiative, die dieses Dorf weit über seine Grenzen hinaus bekannt gemacht hat – „Did Juchim”, zu deutsch „Opa Juchim”, das erste Jugendzentrum im ländlichen Wolyn.


Kopatschiwka. Foto: Jurij Jewtuschko


Gegründet wurde es 2019, doch wie der Leiter des Zentrums, Serhij Janischevskyj erzählt, begann alles schon sehr viel früher:

„Meine Großeltern haben in Kopatschiwka gewohnt. Nach deren Tod zogen meine Eltern aus Lutsk hierher. Nachdem ich 2014 mein Studium beendet hatte, bin auch ich aus der Stadt hierhergekommen. Irgendwas ließ mir hier aber keine Ruhe. Ich habe angefangen, gemeinsam mit Freunden kulturelle Veranstaltungen zu organisieren, um den Leuten zu zeigen, dass es neben Disco noch andere Arten gibt, auszuspannen und etwas zu erleben.”

Serhij lud Rockbands in das nur 1327 Einwohner zählende Kopatschiwka ein, veranstaltete Feuerwerksshows, organisierte einen Workshop mit den Lutsker Rittern, einer Mittelalter-Reenactment-Gruppe. Das stieß nicht nur bei den Dorfbewohner*innen auf Interesse, sondern zog auch Menschen aus den umliegenden Städten und Dörfern an. Ein Paradebeispiel dafür war der Auftritt des Frontmanns der bekannten ukrainischen Band „Tin Sonzja” Serhij Wasyljuk vor ausverkauften Rängen im dörflichen Kulturhaus.

„Unsere Aktivitäten haben bei verschiedenen Leuten Aufmerksamkeit erregt, darunter auch im Umfeld der Lokalpolitik und Verwaltung. Als dort 2018 eine Mail mit dem Aufruf einging, geeignete Kandidaten für das Bildungsprogramm „Jugendarbeit” in Lutsk vorzuschlagen, trugen sie mir eine Teilnahme an. Dank dieser vom Jugendzentrum „YouthSfera” durchgeführten Bildungsmaßnahme wurde mir klar, wie ich weitermachen muss, und fand ich den Mut, ein Jugendzentrum in Kopatschiwka zu gründen”, erinnert sich Serhij Janischevskyj.

Der Gründer von "Did Uhim" und Geschichtslehrer Serhij Janischevskyj. Foto: Jurij Jewtuschko

Ab 2015/2016 wurden in der Ukraine vermehrt Jugendzentren gegründet. Mittlerweile haben sie sich zu Plattformen gemausert, bei denen es um non-formale Bildungsangebote geht, um soziales Engagement und eine sinnvolle Freizeitgestaltung, wo junge Menschen aber auch einfach Spaß haben und gemeinsam etwas auf die Beine stellen können. Diese Jugendzentren sind die Geburtsstätten so mancher kreativer Ideen oder interessanter Jugendprojekte.

Zu ihrer Entstehung hat auch die Dezentralisierungsreform beigetragen, wurden doch gerade im ländlichen Raum Verantwortungsträger*innen dazu befähigt, größeres Augenmerk auf die Jugendpolitik zu legen und diesen Bereich mit mehr Mitteln auszustatten.

Serhij begann zunächst damit, einen geeigneten Ort für sein Jugendzentrum zu suchen, wobei ihn die lokalen Behörden unterstützten. Die Einrichtung befindet sich jetzt in einem zweistöckigen Gebäude, einem Relikt aus Sowjetzeiten, in dem auch das Kulturhaus des Dorfes residiert. „Seinen Namen hat unser Jugendzentrum von dem gleichnamigen Song der beliebten ukrainischen Band „Tar Tak”. Der ist uns in seiner Dynamik und Fröhlichkeit sehr nah”, sagt Serhij Janischevskyj.


Andrij Antonjuk, Aktivist am Jugendzentrum. Foto: Jurij Jewtuschko


In einem zweiten Schritt mussten Mittel für die Sanierung aufgebracht werden. Einen Teil der benötigten Gelder stellte der Gemeinderat bereit, doch die Summe reichte nicht aus. Den Durchbruch brachte der Wettbewerb um ein House-of-Europe-Stipendium, den Serhij und sein Team für sich entscheiden konnten. So konnte die Sanierung 2020 fertiggestellt und Mobiliar angeschafft werden.

Andrij Antonjuk, Aktivist am Jugendzentrum, erinnert sich: „Jetzt sieht es hier super aus, aber am Anfang war es ein Riesenchaos. In den Fluren türmte sich der Müll, die Wände standen kurz vor dem Einsturz. Wir haben echt geschuftet, aber es hat unheimlich Spaß gemacht. Für mich gehört diese Aufbauzeit zu den schönsten Erinnerungen. Ohne Serhij wäre das alles nicht passiert. Keine Ahnung, warum er sich das aufhalst. Ich habe Verwandte in seinem Alter, denen würde sowas nicht im Traum einfallen, aber ihn hat es irgendwie gepackt, und dann zieht er die Sache auch durch.”

Serhij Janischevskyj lächelt nur zur Antwort und meint, er könne eben nicht anders. Neben seiner ehrenamtlichen Arbeit am Jugendzentrum unterrichtet er Geschichte an einer Schule. Die tägliche Nähe zu Kindern und Jugendlichen lässt ihn immer wieder spüren, wie groß das Bedürfnis nach Entwicklung und Entfaltung ist.


Nazar und Serhij vor dem Gebäude des Jugendzentrums in Kopatschiwka. Foto: Jurij Jewtuschko


„Alles, was wir bei „Did Juchim” machen, zielt auf die Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung junger Menschen ab. Ich bin froh, dazu beitragen zu können. Wenn ich die getane Arbeit betrachte und neue Unternehmungen plane, spüre ich dabei immer auch, wie mein eigenes Leben an Sinn gewinnt”, sagt Janischevskyj.

Im selben Atemzug fügt er hinzu, dass er es alleine nicht hätte schaffen können. Die Sanierung der Räumlichkeiten veranschaulicht, wie sehr „Did Juchim” das Baby einer ganzen Gemeinschaft engagierter Menschen ist: manche haben direkt mit angepackt, andere haben Materialien oder Möbel zur Verfügung gestellt, wieder andere sich kreativ an Planung und Entwurf beteiligt.

„Glauben Sie ja nicht, dass die Menschen auf dem Land nur leben um zu arbeiten. Wir haben eine sehr aktive Jugend, die sich weiterentwickeln will. Ein Zentrum wie unseres macht uns zu mehr als nur einer landwirtschaftlichen Region, wo man Kartoffeln sticht und Wälder abholzt. Auch hier gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung und sinnvollen Freizeitgestaltung”, ergänzt Nazar Romanjuk, auch er engagiert sich bei „Did Juchim”.


Nazar Romanjuk. Foto: Jurij Jewtuschko


Die Aktivitäten und Veranstaltungen am Jugendzentrum zögen viele junge Menschen an, so der Junge, woraus sich schließen lasse, dass sie das Zentrum wirklich brauchen. Da Workshops und Bildungsprogramme weniger gut ankämen, habe man sich auf eine sinnvolle Freizeitgestaltung ausgerichtet – mit Brettspielen, Fahrradtouren, Koch- und Musikabenden und Filmvorführungen.

Aktuell führen die Schüler der lokalen Schule zusammen mit dem Team von „Did Juchim” unter dem Projektnamen „Geschichtslaboratorium” ein Bildungs- und Sozialprogramm durch, das auch einen kommerziellen Ansatz hat. Der Erlös aus dem Verkauf selbstentworfener und angefertigter Souvenirs, wie Schlüsselbänder, Magneten und Kalender, soll in den Aufbau eines Geschichtslaboratoriums in einem der Klassenräume der Dorfschule fließen. Angestrebt werden um die 50 000 Hrywnja (ca. 1500 Euro) für die Anschaffung eines Multimediaboards, von Informationstafeln und Mobiliar sowie für Reparaturmaßnahmen. Das Projekt läuft seit März und hat bisher dreieinhalbtausend Hrywnja (110 Euro) eingespielt. Das mag noch nicht viel sein, allerdings denkt ja auch noch lange keiner ans Aufhören.


„Wir haben viele Ideen für Veranstaltungen und Projekte auf Lager. Leider reichen für alles weder die Zeit noch das Geld aus. Es wäre gut, wenn die Jugendarbeit im Gemeinderat ein separater Aufgabenbereich wäre, für den ausschließlich eine Person zuständig ist. Dann könnte man viel systematischer und auch effektiver vorgehen. Bis es soweit ist, geben wir eben einfach unser Bestes”, meint Janischevskyj.

Am heutigen Tag richtet das Zentrum einen „Mind-Games”-Tag aus, es wird ein Teamspiel gespielt, bei dem es um Logik und Wissen geht. Aus dem zweiten Stock dringt fröhliches Lachen bis hinaus auf die Straße. In der Mehrzahl haben sich Schüler*innen versammelt, doch auch einige Student*innen sind gekommen. Eine der Fragen lautet: „Jean de La Bruyère sagte, daneben verblasse sogar die Liebe. Ein anderer Schriftsteller sah darin eine schlechte Kosmetikerin und eine gute Ärztin. Was ist gemeint?”

Die jungen Leute haben die Antwort schon erraten – es ist die Zeit.

Ist die Zeit für oder gegen „Did Juchim”? Serhij Janischevskyj gibt zu bedenken, dass man sich nach der Lösung der großen Probleme zu Beginn und nach Abflauen der ersten Begeisterung vor viele neue Herausforderungen gestellt sah, wie zum Beispiel die stete Knappheit an finanziellen Ressourcen für die laufende Arbeit. Auch freie Zeit sei Mangelware, und das halbe Team stünde am Rande des Burnouts.

Doch trotz aller Schwierigkeiten will Serhij nicht aufgeben: „Wir haben viel zu viel geschafft, um jetzt das Handtuch zu werfen.” Durch sein Beispiel motiviert Serhij andere, das lässt sich überall im Jugendzentrum wahrnehmen. Als Resultat entsteht in diesem grauen Bau aus Sowjetzeiten etwas, wovon die Menschen in Kopatschiwka noch vor fünf Jahren höchstens hätten träumen können.

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