Wir verfolgen besorgt die sich häufenden Bedrohungen und Entführungen von Vertreter*innen der lokalen Selbstverwaltung, von Aktivist*innen und Journalist*innen in den umkämpften und vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine. Wir werten dies als Versuch, die bestehenden Strukturen des demokratischen Gemeinwesens vor Ort nachhaltig zu zerstören. Wir schließen uns der Kampagne von Euromaidan SOS zum Schutz der Betroffenen an. Den Aufruf und eine unvollständige Liste vermisster Personen von Euromaidan SOS (Stand 26.03.2022) veröffentlichen wir hier.
Euromaidan SOS macht aufmerksam auf die Verfolgung von Lokalpolitiker*innen, Staatsbediensteten, Journalist*innen, Geistlichen und zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen auf denjenigen Gebieten der Ukraine, die infolge des russischen Angriffskrieges vom Februar 2022 derzeit unter russischer Besatzung stehen.
Uns erreichen Appelle betroffener Personen oder deren Angehöriger, die Opfer wurden von Drohungen, körperlicher Gewalt, Entführungen, willkürlicher Verhaftung oder anderen Formen repressiver Verfolgung in Melitopol, Cherson, Berdjansk, Kachowka, Slawutytsch und andernorts.
Bereits im Jahr 2014 hat sich Russland gezielt solcher Maßnahmen bedient, um in Teilen des Donbas und auf der Krim schnellstmöglich die Kontrolle über ukrainisches Staatsgebiet zu erlangen. Damals ermordeten illegale bewaffnete pro-russische Gruppen solche Personen, die sich aktiv und friedlich der Besetzung hätten entgegenstellen können, oder vertrieben sie aus den betreffenden Regionen. Die Ausschaltung von Aktivist*innen vermittelte den Besatzern ein Gefühl der Straflosigkeit in Bezug auf ihre Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie auch weiterhin gegen ukrainische Staatsbürger*Innen begehen.
Zur Stunde verfährt Russland erneut nach diesem Muster, da eine dauerhafte Besetzung der eingenommenen Städte und Siedlungen am aktiven Widerstand der lokalen Bevölkerung scheitert.
Mit Blick auf die steigende Anzahl von Geiselnahmen sollte ein solches Vorgehen als verbotene Methode der Kriegsführung qualifiziert werden. Diese Forderung wird dadurch gestützt, dass entsprechende Aktionen stets das Ziel haben, Repräsentant*innen der Zivilgesellschaft zu einer Kollaboration mit dem Aggressor vor Ort zu zwingen oder öffentliche Aktivitäten von Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen oder anderen Personen zu unterbinden, die unter dem Schutz des internationalen humanitären Völkerrechts stehen.
Euromaidan SOS weist darauf hin, dass in einem internationalen bewaffneten Konflikt gemäß Artikel 34 (IV) der Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.08.1949 sowie Artikel 75 des 1. Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention betreffend den Schutz von Opfern internationaler bewaffneter Konflikte vom 08.06.1977 das Festnehmen von Geiseln strikt verboten ist. Hinzu kommt, dass Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, die sich wieder in Freiheit befinden, von Drohungen, physischer Gewalt und unzureichenden Haftbedingungen berichten, was gegen die zu garantierenden Standards der Behandlung von Zivilpersonen verstößt und seinerseits ein Kriegsverbrechen darstellt.
Vor diesem Hintergrund fordert Euromaidan SOS dringend dazu auf
1. dass sich Vertreter*innen der Zivilgesellschaft der Ukraine und anderer Länder der Kampagne anschließen zum Schutz der den Besatzern ausgelieferten Menschen (siehe
nachstehendes Formular: https://forms.gle/enr5822SvPrJZC6Y7).
2. dass Menschen, die Zeug*innen von Verhaftungen in den derzeit besetzten Gebieten geworden sind – oder Kenntnisse von Vorgängen dieser Art haben – diese im nachfolgenden Formular melden: https://forms.gle/d9g8q51BikCE5pnN9
3. dass das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), der Ständige Rat der OSZE in Wien, die Menschenrechtskommissarin des Europarates, die Monitoring- und Konventionsmechanismen des Europarates, die entsprechenden geografischen und thematischen Mandate der UNO, der UNO-Menschenrechtsrat, die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes eine internationale Präsenz in den durch die russische Invasion im Februar 2022 besetzten Gebiete sicherstellen und aktive Schritte unternehmen, um die dortige Zivilgesellschaft vor Verfolgung zu schützen.
4. dass die Regierungen anderer Staaten mit der Regierung der Ukraine zusammenarbeiten, um solche Personen strafrechtlich zu verfolgen, die beteiligt waren an Entführungen und anderen international als Verbrechen anerkannten Vorgängen in den besetzten Gebieten.
Nachstehend der öffentlich zugängliche Teil der Liste verschwundener oder von Russland wiederrechtlich festgehaltener zivilgesellschaftlicher Repräsentant*innen
(die Zusammenstellung ist nicht vollständig und unterliegt fortlaufender Aktualisierung, Stand 26.03.2022):
1. Tetiana Bezliudna, Abgeordnete des Gemeinderates von Andrijiwka, Oblast Tschrnihiw;
2. Dmytro Vasyliev, Sekretär des Stadtrats von Nowa Kachowka, Nowa Kachowka, Oblast Cherson;
3. Volodymyr Karaberov, Vorsteher der Territorialgemeinde Manhusch, Distrikt Mariupol, Oblast Donezk;
4. Oleksiy Kartsan, Ortsvorsteher von Hremjatsch, Distrikt Nowhorod-Siwerskyj, Oblast Charkiw;
5. Victor Marunyak, Vorsteher der Territorialgemeinde Starosburjiw, Distrikt Starostyn, Stadtverordneter von Holoprystan, Distrikt Skadowsk, Oblast Cherson;
6. Yevhen Matveev, Bürgermeister von Dniprorudne, Oblast Saporischschja;
7. Oleksandr Musienko, Vorsteher der Vereinigten Territorialgemeinde Tschulakiw, Distrikt Holoprystan, Oblast Cherson;
8. Yuri Palyukh, Sekretär des Stadtrats von Skadowsk, Skadowsk, Oblast Cherson;
9. Oleksandr Ponomarev, Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, verschwunden in Berdjansk;
10. Serhiy Pryima, Vorsitzender des Distriktrates, Stadt Melitopol, Oblast Saporischschja;
11. Ivan Samoidyuk, erster stellvertretender Bürgermeister von Enerhodar;
12. Mykola Sikalenko, Vorsteher der Vereinigten Territorialgemeinde Zyrkuniw, Distrikt Charkiw, Oblast Charkiw;
13. Volodymyr Tyurin, stellvertretender Leiter der zivil-militärischen Verwaltung von Schtschastja, Stadt Schtschastja, Oblast Luhansk;
14. Oleksandr Shapovalov, Bürgermeister von Beryslaw, Oblast Cherson;
15. Mykola Masliy, Abgeordneter des Stadtrats von Kupjansk, Oblast Charkiw;
16. Tetiana Svyrydenko, Gemeinderatsvorsitzende in Iwankiwka, Distrikt Wyschhorod, Oblast Kyjiw;
17. Zarivnyi Oleksandr Hryhorovych, Mitarbeiter des Stadtrats von Oleschkiw, Oblast Cherson;
18. Mykhailo Reznikov, Pastor der Evangelischen Baptistenkirche, Mariupol, Oblast Donezk;
19. Andriy Fomenko, Mitarbeiter der Evangelischen Baptistenkirche, Mariupol, Oblast Donezk;
20. Vasyl Vyrozub, Priester der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, Oblast Odesa;
21. Dmytro Bodyu, Bischof der evangelikalen Christengemeinde „Wort des Lebens” Melitopol, Oblast Saporischschja;
22. Serhiy Tsygipa, Aktivist, Nowa Kachowka, Oblast Cherson;
23. Max Levin, Fotojournalist, verschwunden an der Front in der Nähe von Kyjiw;
24. Kumok Mykhailo, Verleger der Lokalzeitung „Melitopoler Nachrichten”, Melitopol, Oblast Saporischschja;
25. Khropun Volodymyr Vasyliovych, Freiwilliger beim Roten Kreuz, Oblast Kyjiw;
26. Julia Ivannikova-Katsemon, Freiwillige beim Roten Kreuz, Oblast Kyjiw;
27. Mykola Budalovskyi, Ortsvorsteher von Andrijiwka, Oblast Tschrnihiw;
28. Olexandr Medvediov, Vorsteher der Vereinigten Territorialgemeinde Snowsk, Oblast Tschernihiw;
29. Bozhko Hryhoriy, Unternehmer, vormals Angeordneter des Regionalrats von Tschernihiw, Oblast Tschernihiw;
30. Dmytro Afanasyev, Abgeordneter des Regionalrats von Korabel, Oblast Cherson;
31. Dmytro Takadjy, Vorsteher von Nyschni Sirohosy, Oblast Cherson;
32. Sukhenko Olha Petrivna, Ortsvorsteherin von Motyschyn, Vereinigte Territorialgemeinde Makariw, Oblast Kyjiw;
33. Talalai Ihor Viktorovych, Freiwilliger (brachte Menschen aus Mariupol nach Dnipro), Mangusch, Oblast Donezk;
34. Julia Payevska, Freiwillige und Sanitäterin, Mariupol, Oblast Donezk;
35. Oleg Myroshnyk, Ortsvorsteher von Bilowodsk, Oblast Luhansk;
36. Vasyl Mitko, Bürgermeister von Nikolske, Oblast Donezk.